Was Sie über Urteilsfehler wissen sollten

Statistisch gesehen ist jeder von uns einmal im Leben von einer falschen Diagnose betroffen. Das Patientensicherheitsnetzwerk des US-Gesundheitsministeriums schätzt, dass etwa 75% der Fehldiagnosen durch Fehler bei der Beurteilung der vorliegenden Informationen zustande kommen – nicht durch mangelnde Fachkompetenz der Ärzte. Die Entscheidungsforschung spricht von „kognitiven Verzerrungen“ oder „Urteilsfehlern“. Auch wenn Du keine Ärztin oder kein Arzt bist, solltet Du Dich mit den wichtigsten Urteilsfehlern vertraut machen – und bitte gehe nicht dem Urteilsfehler auf den Leim, gegen Urteilsfehler immun zu sein.

In der Literatur sind inzwischen weit über einhundert Urteilsfehler beschrieben. Die meisten kann man den Kategorien „kognitive Leichtigkeit“, „Selbstüberschätzung“ und „Versteckte Impulse“ zuordnen. Es ist unmöglich (und auch nicht nötig), alle Urteilsfehler zu kennen. Diejenigen, die für den Alltag besonders relevant sind, habe ich in der Übersicht rechts zusammengestellt. In meinem Online-Shop finden Sie Poster mit einer Kurzbeschreibung der wichtigsten Urteilsfehler speziell für Ärzte, Manager und Verkäufer.

Die wichtigsten Urteilsfehler

Halo-Effekt:
Ein Mensch hat bekanntlich unterschiedliche Gesichter. Wie ich diesen Menschen bei der ersten Begegnung einschätze, hängt in starkem Maße davon ab, welches Gesicht ich als erstes wahrnehme (für „wahr nehme“). Begegne ich diesem Menschen in einer anderen Situation, stecke ich ihn vielleicht in eine ganz andere Schublade. Wie auch immer, wer einmal in einer Schublade steckt, kommt nur schwer wieder heraus, selbst wenn ich seine anderen Gesichter längst erkannt habe. Der Halo-Effekt wirkt übrigens nicht nur bei der Bewertung von Menschen, sondern auch bei der Bewertung von Produkten oder Ideen und führt oft zu falschen Kaufentscheidungen.

Rückschaufehler:
Es gibt einen Unterschied zwischen einer Erfahrung und der Erinnerung an diese Erfahrung. Der Rückschaufehler beschreibt die Tendenz, unsere Erinnerung so zu korrigieren, dass wir uns gut damit fühlen.

Selbstbestätigungsfalle:
Wir wollen Recht behalten. Deshalb neigen wir dazu, Informationen zu bevorzugen oder höher zu bewerten, die unserer Auffassung (unser Vorurteil) bestätigen und die Informationen zu ignorieren oder zu diskreditieren, die unsere Meinung ins Wanken bringen könnten. Das führt zu einer selektiven Wahrnehmung, wir sehen, was uns bestätigt.

Unterlassungseffekt:
Wenn wir entscheiden müssen, ob wir unseren bisherigen Kurs fortsetzen oder einen anderen Weg gehen, neigen wir dazu, den bisherigen Weg weiterzugehen – auch wenn er uns nicht gefällt. Eine Erklärung dafür ist der Unterlassungseffekt. Die Beibehaltung des Kurses gibt uns eine vermeintliche Sicherheit. Der Grund dafür ist, dass wir die Risiken des neuen Kurses systematisch überschätzen. Gleichzeitig unterschätzen wir im Moment der Entscheidung die Schmerzen, die uns der bisherige Weg bereitet hat und vermutlich noch bereiten wird. Dieser Urteilsfehler hält uns z. B. nicht nur in Jobs, die wir schon längst innerlich gekündigt haben, sie zieht u. a. auch Beziehungen in die Länge, die längst gescheitert sind.

Verlustaversion:
Die emotionale Wirkung von Verlusten ist mehr als doppelt so stark als die von Gewinnen. Deshalb strengen wir uns mehr an und nehmen größere Risiken inkauf, um einen Verlust zu vermeiden. Wir verzichten lieber auf einen Gewinn, wenn die gleiche Handlung auch zu einem Verlust führen kann.

Kontrollillusion:
Unser Gehirn suggeriert uns ständig Zusammenhänge, die objektiv betrachtet keinen Sinn ergeben. Die Kontrollillusion besteht besonders häufig dann, wenn wir wenig Kontrolle haben. Sie beschreibt die Tendenz zu glauben, Vorgänge kontrollieren zu können, die nicht beeinflussbar sind. Gut beobachten kann man die Kontrollillusion z. B. bei Würfelspielern.

Optimistische Verzerrung:
Gesunder Optimismus ist eine wertvolle Eigenschaft. Er wird dann zur “optimistischen Verzerrung”, wenn die Begründung des Optimismus‘ auf Urteilsfehlern basiert. Optimistische Verzerrung ist ein überdosierter Optimismus.

Overconficende Bias:
(Selbstüberschätzung): Beim Overconfidence Bias handelt es sich um eine kognitive Verzerrung, die die Überzeugung eines Individuums oder einer Organisation beschreibt, über bessere Fähigkeiten und ein höheres Maß an Wissen zu verfügen als der Durchschnitt des Clusters, zu dem sie gehören. So halten sich z. B. 80% der Autofahrer für überdurchschnittlich gute Autofahrer.

Mere-Exposure-Effekt:
Wiederholungen nerven. Dennoch haben sie Effekte, von denen wir oft lieber nichts wissen wollen. Sie führen nämlich u. a. dazu, dass wir Botschaften, Personen oder Produkte mit jedem neuen Impuls positiver bewerten – vorausgesetzt, die Person oder das Produkt war uns nicht von Anfang an sehr unsympathisch.

Framingeffekt: Der Framing-Effekt beschreibt das Phänomen, dass unterschiedliche Formulierungen einer Information – bei gleichem Inhalt – beim selben Entscheider zu unterschiedlichen Entscheidungen führen können.

Primingeffekt:
Der Primingeffekt beschreibt ein Reiz-Reaktions-Schema, bei dem der Eingangsreiz bestimmte Assoziationen hervorruft, die Einfluss auf unsere Reaktion haben. Dabei muss nicht unbedingt ein Zusammenhang zwischen dem Sender und dem Empfänger des Reizes bestehen.