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Denk‘ langsam, wenn’s drauf ankommt
Wir denken in zwei Systemen. Das schnelle Denken ist intuitiv und entzieht sich unserer willentlichen Steuerung. Das langsame Denken muss bewusst aktiviert werden.
Laut Daniel Kahneman (siehe Einleitung) ist System 1 die erste Anlaufstelle für alles, was wir sehen, riechen, hören, schmecken. System 1 ist aber nicht nur unser Empfänger, sondern System 1 bewertet diese Eindrücke auch und trifft z.B. die Entscheidung, ob und wie wir auf ein Signal reagieren. Die Aufgabe von System 2 ist, die Entscheidungen von System 1 kritisch zu überprüfen und ggf. zu korrigieren, bevor sie zu Handlungen werden. Allerdings ist System 2 träge. Es kostet Energie und Willenskraft, System 2 einzuschalten. Deshalb überlassen wir System 1 meist die Entscheidung, wenn „die Geschichte“ plausibel erscheint (siehe rechte Seite).
Ein Beispiel aus unserem Praxisalltag: Ein Patient kommt zur Anmeldung. Er will ein Rezept abholen. Wir bitten ihn, noch kurz im Wartezimmer Platz zu nehmen, da der Arzt das Rezept noch unterschreiben muss. Wir teilen ihm mit, dass wir ihn aufrufen, sobald uns das unterschriebene Rezept vorliegt. Nach wenigen Minuten kommt der Patient wieder zur Rezeption. Es ist Montagmorgen und es herrscht die übliche Hektik.
Was will der denn schon wieder?! Ich habe ihm doch gesagt … Sieht er denn nicht, was hier an der Rezeption los ist. Der kam eben schon so arrogant rüber. Der denkt wohl, du bist sein Dienstmädchen. Weise ihn in seine Schranken: Ich habe Ihnen doch gesagt, dass wir Sie aufrufen, wenn der Arzt das Rezept unterschrieben hat!
Moment! Bevor Du so reagierst und Dir vollends die Laune verdirbst (weil der Typ sicherlich nicht freundlich darauf reagiert), atme erst mal kräftig durch. Sicher, dieses Verhalten hast Du schon x-mal erlebt. Aber vielleicht will er gar nicht drängeln und hat ein ganz anderes Anliegen. Gibt ihm noch eine Chance und frage ihn ganz freundlich …
Das Diagramm rechts zeigt, wie aus einem Impuls (der Patient kommt nach ein paar Minuten erneut zur Anmeldung) eine Handlung wird.
Schritt 1 – Empfang von Signalen
Basis jeder Handlung sind Informationen. Information ist alles, was wir in einer Situation erfassen – nicht nur, was wir sehen und hören. Vieles nehmen wir unbewusst wahr. Patienten einer Arztpraxis haben einiges mit Fluggästen gemein. Was für die Crew völlig normal ist (z. B. Hektik, „komische“ Geräusche etc.), macht manchen Fluggästen Sorge. Flugangst ist vergleichbar mit der emotionalen Situation mancher Patienten in einer Arztpraxis.
Schritt 2 – System 1 entwickelt eine Story
Es sind meist nur Informationsfetzen die System 1 im ersten Schritt erfasst. Wir neigen jedoch dazu, aus diesen Fetzen eine Story zu konstruieren, die in sich schlüssig ist und die sich plausibel anhört. Der Patient in unserem Beispiel hat folgende Signale wahrgenommen: Da sitzen 3 MFAs an der Anmeldung. Sie reden miteinander und kümmern sich nicht um mich. Daraus hat er folgende Story entwickelt: Ich habe zuhause ein krankes Kind, das dringend Medikamente benötigt. Jede Minute zählt. Die MFAs würdigen mich nicht mal eines Blickes; sie sind zu dritt und haben offenbar nichts zu tun. Ich bin ihnen egal.
Schritt 3: Bildung einer Überzeugung
Ob die Geschichte, die System 1 in Schritt 2 konstruiert, zu einer Überzeugung wird, hängt davon ab, ob wir System 2 einschalten und wie System 2, das langsame Denken, die Story beurteilt.
Schritt 4: Handlung
Bei unserer Kommunikation beachten wir, dass Patienten häufig im Modus von System 1 mit uns sprechen. Wenn der Patient nicht so reagiert, wie wir es erwarten, aktivieren wir unser System 2, bevor wir agieren.