Denkmuster
Denkmuster sind eine geniale Erfindung der Evolution. Man kann sie als neuronale Daumenregeln bezeichnen, die sich im Laufe unseres Lebens entwickeln. Sie helfen uns hinreichend gute Entscheidungen zu treffen, können uns aber genauso gut auf den Holzweg führen. VisuDEC ist ein Tool, das uns hilft, fragile Denkmuster zu erkennen und gute Entscheidungen zu treffen.



Stellen Sie sich vor, Sie haben in einem Fernsehquiz den ersten Preis gewonnen. Der Moderator führt sie nun vor 3 Türen. Hinter einer der Türen steht ein Auto. Hinter den beiden anderen je eine Ziege. Sie entscheiden sich für Tür 1. Nun öffnet der Moderator Tür 2 (dahinter steht eine Ziege) und fragt Sie, ob Sie bei Tür 1 bleiben oder doch Tür 3 wählen. Je nachdem, welche Tür der Moderator öffnet, gewinnen Sie die Ziege oder das Auto.
Die Frage, ob es sinnvoll sei, die Tür zu wechseln, wurde zur weltweit diskutierten Frage, als eine Frau namens Marilyn vos Savant in einer Zeitungskolumne behauptete, die Änderung der ursprünglichen Entscheidung – also die Wahl der anderen Tür – würde die Wahrscheinlichkeit erhöhen, das Auto zu gewinnen. Dass Frau vos Savant die Frau mit dem höchsten jemals gemessenen IQ ist, bewahrte sie nicht vor tausenden von zum Teil wütenden Reaktionen (heute würde man „Shitstorm“ sagen) auf ihre Kolumne, selbst von Mathematikprofessoren.
Das Ziegenproblem gilt inzwischen als die „Königin der Denkillusionen“. Es ist ein Paradebeispiel dafür, wie uns unsere Intuition auf den Holzweg führen kann. Denn 99% derer, denen das Entscheidungsproblem vorgestellt wird, meinen, es sei egal, ob man bei seiner Entscheidung bleibt oder die andere Tür wählt, beide Optionen hätten eine Erfolgswahrscheinlichkeit von 50%.
Jahrelang wurde der Beweis, dass Wechseln die richtigere Entscheidung sei, auf einer abstrakten mathematischen Ebene geführt, mit dem Ergebnis, dass er von kaum jemanden akzeptiert wurde und die meisten auf ihrem Standpunkt beharrten. Selbst Paul Erdös, einer der bedeutendsten Mathematiker des 20. Jahrhunderts, soll den Beweis erst akzeptiert haben, nachdem eine Computersimulation zeigte, dass Wechseln in 67 von 100 Fällen zum Auto führt.
Schnelles Denken, langsames Denken
Das Ziegenproblem kann man mathematisch lösen oder mit „langsamem Denken“. Das Konzept des Denkens in zwei Systemen ist inzwischen in der Psychologie weitgehend etabliert. Weltweite Bekanntheit hat es durch den Bestseller „Schnelles Denken, langsames Denken“ des Nobelpreisträgers Daniel Kahnemann erlangt.

Wir denken in zwei Systemen. Das „schnelle Denken“ ist immer aktiv, es arbeitet intuitiv, automatisch und entzieht sich unserer willentlichen Steuerung. Laut Kahneman entstehen in System 1 spontan die Eindrücke und Gefühle, die die „Hauptquellen der expliziten Überzeugungen und bewussten Entscheidungen von System 2 sind“.
System 2 ist das „langsame Denken“. Es muss bewusst aktiviert werden und arbeitet analytisch. System 2 ist jedoch träge und braucht viel Energie. Kahneman spricht vom „faulen“ System 2. Eine der Hauptfunktionen von System 2 besteht laut Kahneman darin, die von System 1 vorgeschlagenen Gedanken und Urteile zu überwachen und zu kontrollieren, bevor sie zu Entscheidungen und Handlungen werden. Aufgrund der Trägheit von System 2 laufen wir im Autopiloten von System 1 durch den Alltag.
Wie bereits erwähnt, kann man die Entscheidung, ob beim Ziegenproblem das Wechseln der Tür eine bessere Strategie ist, durch langsames Denken einfach lösen.
Heuristiken

Wenn Sie beim Ziegenproblem entscheiden, die Tür nicht zu wechseln, treffen Sie die Entscheidung intuitiv. Sie nutzen eine Heuristik. Bauchentscheidungen sind nichts anderes als schnelle und einfache Heuristiken. Nachfolgend stelle ich einige der am intensivsten erforschten Heuristiken vor.
Heuristiken sind Abkürzungen beim Treffen einer Entscheidung. Wir nutzen solche Abkürzungen, weil unsere kognitiven Ressourcen begrenzt sind. Wie können nicht alle relevanten Informationen bei einer Entscheidung berücksichtigen – falls sie überhaupt verfügbar sind.
Rekognitionsheuristik
Die Rekognitionsheuristik beschreibt das Phänomen, dass wir dazu neigen, uns für die Option zu entscheiden, die uns vertrauter vorkommt, bzw. bei der wir das Ganze oder Teile davon wiedererkennen.
Tipp:
Die Tücken dieser Heuristik zeigt eine Studie, in deren Rahmen Amerikaner gefragt wurden, welche der beiden Städte San Diego und San Antonio größer ist. Etwa zwei Drittel der Befragten tippten auf die richtige Lösung: San Diego*. Fragt man Deutsche, liegt die Trefferquote bei 100%. Deutsche liegen mit ihrer Antwort häufiger richtig, weil sie die Rekognitionsheuristik anwenden; San Diego wird in den Medien um ein Vielfaches häufiger erwähnt als San Antonio. Menschen, denen beide Städte gleich vertraut vorkommen, wenden die Rekognitionsheuristik nicht an (vielleicht die Simulationsheuristik? – s. u.). Würde man einen Amerikaner fragen, welche der beiden Städte Koblenz und Rüdesheim die größere ist, würde er bei Anwendung der Rekognitionsheuristik falsch liegen. Man kann davon ausgehen, dass viele Amerikaner schon mal von Rüdesheim gehört haben (die Region lebt wirtschaftlich vor allem von amerikanischen und asiatischen Touristen), aber den Namen der größeren Stadt, Koblenz, nicht kennen. Deshalb überlegen Sie sich bei Ihren Entscheidungen gut, ob die Rekognitionsheuristik die richtige Methode ist.
Affektheuristik:
Bei dieser Heuristik wird die Entscheidung auf Basis einer emotionalen Bewertung getroffen. Der Entscheider wählt die Option, die sich am besten anfühlt. Man spricht auch von „emotionaler Beweisführung“ (die Entscheidung fühlt sich gut an, also muss sie richtig sein). Je sympathischer uns ein Produkt oder eine Idee ist, umso stärker haben wir den Nutzen im Fokus, während wir die Nachteile weitgehend ausblenden. Umgekehrt, je stärker die Abneigung gegen das Produkt oder die Idee, umso höher bewerten wir die Risiken und umso geringer den Nutzen.
Tipp:
Lenken Sie sich von der Entscheidung mit der Überlegung ab, was Ihnen wirklich wichtig ist und legen Sie sie so lange wie möglich auf Eis. Max Planck hat seine Entscheidung, ob er seine Theorie über das plancksche Wirkungsquantum (das immerhin zur Basis der Entwicklung der Quantenmechanik wurde und damit die Grundlage für die digitale Welt schaffte) 10 Jahre lang auf Eis gelegt. Es müssen ja nicht 10 Jahre sein, manchmal reichen schon 5 Minuten.
Simulationsheuristik:
Je besser wir uns ein Ereignis vorstellen können, für umso wahrscheinlicher halten wir es auch, dass das Ereignis eintritt. Der Denkfehler besteht darin, dass unsere Vorstellungskraft nichts mit den Eintrittswahrscheinlichkeiten von Ereignissen zu tun hat.
Tipp:
Die Simulationsheuristik ist kein guter Entscheidungsratgeber. Nutze Sie Ihr Vorstellungsvermögen lieber für Ihr Kopfkino als für das Treffen von Entscheidungen.
Verfügbarkeitsheuristik:
Wir neigen dazu, unsere Meinung aufgrund von Informationen zu bilden, die leicht verfügbar sind. Insbesondere, wenn es darum geht, ein bestehendes Vorurteil zu festigen, machen wir uns selten die Mühe tiefer nach Informationen zu graben.
Tipp:
Wenn Sie sich wirklich ein fundiertes Urteil bilden wollen, geben Sie sich nicht mit Informationen zufrieden, die Ihnen ins Auge springen. Langsames Denken (fällt schwer): Vertreten Sie immer auch die Gegenposition und wägen Sie beide Positionen gegeneinander ab.
*Als die Studie durchgeführt wurde, war San Diego tatsächlich die größere Stadt. Heute ist San Antonio größer als San
Diego.